Darauf soll hier keine Antwort gegeben werden, denn man müsste bei philosophischen Erörterungen des Erkenntnisprozesses beginnen ... und mit den Grundsätzen ärztlichen Handelns fortfahren. Die Begriffe Krankheit, Diagnose, Diagnostik, Test, diagnostischer Prozess etc. wären zu definieren. - Der Biometriker kann es sich aber einfach machen: Er betrachtet die diagnostische Maßnahme als Mittel, eine A-priori-Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Vermutung, dass ein Patient an einer Krankheit leidet, in eine (möglichst) höhere A-posteriori-Wahrscheinlichkeit zu transformieren.
Um die Diagnostik zu beschreiben, wird sie als Folge von binären Einzelentscheidungen aufgefasst. Bei diesen Einzelunterscheidungen werden diagnostische Tests eingesetzt, die zwischen zwei Zuständen entscheiden sollen: Krankheit vorhanden / nicht vorhanden. Entsprechend ist auch das Testresultat eine Ja/Nein-Aussage: krank (=positiv) / nicht krank (=negativ). Bei Tests mit quantitative Ergebnissen, wie z. B. bei Laborwerten, erfolgt die Überführung in eine solche binäre Aussage mit einem Trennwert (
Cut-Off-Point).
Hieraus lässt sich eine Vierfeldertafel erzeugen, die den wahren Zustand des Patienten (Referenzstandard, Goldstandard) und das Testergebnis (untersuchter Test = Indextest) gegenüberstellt:
Anhand dieser Tafel lassen sich spalten- und zeilenweise je die Verhältnisse der Einzelzellen zu den Summen bilden.
Zunächst können wir die Prävalenz angeben: D+/([D+] + [D-]) = (TP+TN)/(TP+FP+TN+FN).
Die diagnostische Güte wird immer als Paar von zwei Werten berichtet: {Sensitivität, Spezifität}, oder {PPV, NPV} oder {DLR+, DLR-}.
Summarische Maße, die nur einen Wert verwenden (z. B. Summe aus Sensitivität und Spezifität, Youden-Index, Effizienz, …), bilden die Güte eines Test nur unzureichend ab, und sind ungeeignet, um die diagnostische Güte zu beschreiben. Wird nur eine Zahl berichtet (z. B. nur der negative Vorhersagewert, oder eine "Genauigkeit von 95%", o. ä., so reicht diese Angabe nicht aus, um die Güte eines diagnostischen Tests einzuschätzen. Ich persönlich gehe in solchen Fällen davon aus, dass eine ungünstige Eigenschaft des Tests verschwiegen werden soll.
Die Sensitivität ermittelt den Anteil der richtig positiv erkannten Patienten an allen Kranken TP/D+ = TP/(TP+FN), die Spezifität den Anteil der richtig negativ erkannten Patienten an den Nicht-Kranken TN/D- = TN/(TN+FP). Man kann die Güten auch statistisch als bedingte Wahrscheinlichkeiten formulieren: Die Sensitivität ist die bedingte Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines richtig positiven Testergebnisses gegeben die Erkrankung [dies wird so notiert: P(T+|D+)], die Spezifität ist die bedingte Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines richtig negativen Testergebnisses gegeben die Nicht-Erkrankung P(T-|D-). Sensitivität und Spezifität sind die Größen, die die Entwickler und Hersteller bei der Bewertung ihrer diagnostischen Tests verwenden können. Statt Sensitivität werden mitunter auch die Richtig-Positiv-Rate TPF = Sensitivität und Falsch-Positiv-Rate = 1-Spezifität angegeben. Da Sensitivität und Spezifität jeweils innerhalb der Spalten der oben berichteten Tabelle bestimmt werden, hängen sie nicht von der Prävalenz ab.
Die Vorhersagewerte (zeilenweise Betrachtung) betrachten dagegen die Wahrscheinlichkeiten, dass der Patient tatsächlich den Zustand aufweist, den der Test anzeigt (positiver Vorhersagewert PPV: TP/(TP+FP), negativer Vorhersagewert NPV: TN/(TN+FN). Man kann die Vorhersagewerte auch statistisch als bedingte Wahrscheinlichkeiten formulieren: Der PPV ist die bedingte Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Erkrankung gegeben ein positives Testergebnis P(D+|T+) [man beachte die vertauschte Reihenfolge von T+ und D+ im Vergleich zur Sensitivität], der NPV ist die bedingte Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Nichterkrankung gegeben ein negatives Testergebnis P(D-|D-). Die Vorhersagewerte beschreiben damit die Sicht des Arztes (bzw. des Patienten), dem das Testergebnis vorliegt: Ich habe ein positives Testergebnis: wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich tatsächlich erkrankt bin? Dies beantwortet der PPV. Arzt und Patient können mit dem PPV bzw. dem NPV das Testergebnis hinsichtlich seiner Relevanz einschätzen.